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Ich laufe durch die Straßen, durch die Schrebergärten hinauf zum Wald. Kein Mensch, kein Tier begegnet mir. Es ist der kürzeste Tag im Jahr. Die Blätter der Bäume sind abgefallen und bilden einen dunklen Teppich auf dem Weg. Wo Lärchen stehen, leuchtet der Weg von den Nadeln gelb. Der Wind rauscht in den Fichten. Ein halb umgefallener Baum, der in den Zweigen eines anderen hängt, stöhnt wie ein leidender Mensch. |
Die Natur hat sich zurückgezogen. Auch ich ziehe mich in mich selbst zurück. Ich wünsche nichts mehr, ich strebe nach nichts.
Ich horche auf den Wind und betrachte die kahlen Baumwipfel mit den glänzenden Tropfen an den Zweigen, wenn die Wolken kurz aufreißen.
Ich setze mich auf einen großen Stein am Bergesrand. Am gegenüberliegenden Hang sieht man nur bewaldete Hügel.
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Das Ur-Eine ruht einen Moment in sich am kürzesten Tag des Jahres. In alten Zeiten wurde das Fest des Todesgottes Odin gefeiert. Man sollte sich hüten, der wilden Jagd zu begegnen. Das waren die Toten, die in ihrer Leidenschaft durch den Wald hetzten und keine Ruhe finden konnten. Man sollte in sich gehen und die Kräfte sammeln - wie in einer aufwärts gerichteten Säule, die Himmel und Erde verbindet. Man sollte seine Wünsche auf die Ewigkeit richten und sich der Vergänglichkeit allen Wirkens bewußt sein. |
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Sebnitz, 28.12.2019 antje.riederer@hotmail.de |